Eine mysteriöse Grabstele

HINWEIS 6

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HINWEIS 6: Eine mysteriöse Grabstele

Nachdem wir das Leben von Königin Bertha nachgezeichnet haben, interessieren wir uns nun etwas mehr für die Geschichte der Abteikirche sowie generell der Stadt Payerne: warum wählte Berthas Tochter Adelheid diesen Ort zur Ruhestätte ihrer Mutter? Das Priorat von Payerne wurde an einer Stelle erbaut, die bereits eine reiche Vergangenheit hatte. Schon in der Antike war dies ein Ort, an dem bedeutende Bauwerke standen und hochrangige Personen lebten.

Ausgrabungen, die in den 1950er Jahren vom Architekten Pierre Margot durchgeführt wurden, offenbaren erstmals Überreste aus der Römerzeit unter der Abteikirche. Ein stattliches Gebäude kommt zutage. Es bildete wahrscheinlich den Kernbestandteil einer Villa, d.h. eines grossen Landguts, wie es für die Antike typisch war. Die Lage des Ortes auf einer kleinen Anhöhe über der Broye-Ebene, nur wenige Kilometer entfernt von Avenches, der damaligen Hauptstadt des römischen Helvetiens, bot besondere Vorteile.

Abgesehen von den Mauerfundamenten ist von diesem Bauwerk kaum etwas bekannt. Die Böden sind weitgehend verschwunden. Sehr wenige Objekte sind bis heute überliefert. Die Bauten und die zahlreichen im Boden angelegten Grabstätten des Mittelalters haben die meisten archäologischen Schichten aus der Römerzeit verschwinden lassen. Allerdings stammt ein Teil der Bruchsteine aus gelbem Kalkstein, die für den Bau der romanischen Kirche verwendet wurden und noch heute sichtbar sind, von dieser Villa. Solche «Spolien», wie Archäologen und Kunsthistoriker diese wiederverwendeten Werkstücke nennen, sind ein bekanntes Phänomen. Diese Wiederverwendung gab es schon immer, aber sie war im Mittelalter besonders verbreitet.

Einer dieser als «Spolie» übernommenen Steine ist noch im Chorraum der Kirche zu sehen. Er ist für die Geschichte der Anlage von besonderer Bedeutung. Es handelt sich um eine Grabstele, auf der – natürlich in lateinischer Sprache – ein gewisser P. Graccius Paternus genannt ist, vielleicht ein Besitzer des Gutes. Römische Namen bestanden im Allgemeinen aus drei Teilen: einem Vornamen (praenomen), einem Familiennamen (nomen) und einem Beinamen (cognomen). Hier verweist die letzte Namenskomponente, Paternus, auf eine bedeutende Familie aus Avenches. Aber sie erinnert vor allem an den heutigen Namen von Payerne, der sich von dieser Wurzel Patern- ableitet, die den Ort auch viel später noch bezeichnet, in mittelalterlichen Schriftstücken (z.B. in loco Paterniaco). So bewahrt die Stadt Payerne in ihrem Namen die Erinnerung an ihre antike Vergangenheit.

Einen neuen Hinweis findest du in der Nähe dieser Inschrift.

© Rémy Gindroz